Memorandum über die Verhältnisse der unter der Leitung des KZ Dachau stehenden Außenlager Mühldorf - Ampfing |
Unterfertigende übergeben hiermit die Häftlings-Kartei der Lagerschreibstube des "Waffen-SS", KZ Dachau, Arbeitslagers MI. Dieselbe enthält die Personalkarten der Häftlinge der in der Umgebung von Mühldorf und Ampfing befindlichen Arbeitslager, wie folgt: Das Verzeichnis der Karteikarten wurde ab 24. Juli 1944 geführt und durch Unterzeichnete am 20. September übernommen. Durch die verschiedensten Transporte wurden in obige Lager im Laufe der Zeit 7500 männliche und 800 weibliche Häftlinge eingeliefert. (Diese Zahlen sind bloß abgerundete Werte; ebenso sind die oben angegebenen Stärkezahlen abgerundete Werte der in den einzelnen Lagern gleichzeitig befindlichen Häftlinge.) Der größte Teil der männlichen Häftlinge bestand aus ungarischen Juden, weiters waren im Lager 150 griechische Juden, 150 französische, 150 italienische und ca. 600 russische, polnische, deutsche und serbische Arier. Die weiblichen Häftlinge waren größtenteils ungarische Jüdinnen. Das Schicksal der Häftlinge wird wie folgt geschildert: -
Am 25.09.1944 Rücktransport nach
Auschwitz, Invaliden.........: 250
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Am 25.10.1944 Rücktransport nach Auschwitz, Invaliden.........: 580
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Am 04.04.1945 Rücktransport nach Kaufering, Invaliden..........: 1050
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Am 27.04.1945 Transport gesunder Häftlinge............................:
3600
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Im Lager MI und Waldlager V verbliebene Revierkranke..........: 550
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Im Lager MI und Waldlager V verbliebene arische Häftlinge.....: 300
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Verstorbene Häftlinge, begraben im Waldfriedhof......................: 2170 Die Rücktransporte nach Auschwitz bestanden aus entkräfteten, arbeitsunfähigen Häftlingen in schwerkranken Zustande (Enteritis, Phlegmonie, Oedema, Cahex, usw.), die zwecks Hinrichtung mittels Giftgas verschickt wurden, falls sie nicht unterwegs vor Hunger verstarben. Also sind zum Beispiel während des Rücktransports am 25.09.1944 unterwegs im Waggon 25 Häftlinge verstorben, laut diesbezüglichem Protokoll der SS. Im Transport nach Kaufering befanden sich hauptsächlich typhuskranke Häftlinge, die über Nacht verladen und abtransportiert wurden. Durch den Transport am 27.04.1945 wurde das Lager praktisch evakuiert, da sich die Befreiungsarmee wesentlich näherte. (...) Aus obigen ist ersichtlich,
dass die unter 1), 2), 3) und 7) angeführten insgesamt 4050 Häftlinge als verlustig zu betrachten sind. Unter den weiblichen Häftlingen ist kein Todesfall zu verzeichnen; auf Rücktransport nach Auschwitz wurden vier Frauen verschickt. Die größten Verluste an Toten hatte die intellektuelle Klasse, die fast ganz vernichtet wurde; so blieben von 120 Ärzten nur 10 am Leben und von 40 Ingenieuren bloß sechs. |
Das massenhafte Ableben der Häftlinge wurde durch eine Art der verschleierten, jedoch
zielbewussten Vernichtungsmethoden verursacht, die außer der Dachauer SS-Leitung als ausführende Organe die Folgenden zu verantworten haben: a) die lokale SS-Lagerführung: | b) Organisation TODT | c) Baufirmen | -
SS-Obersturmbannführer Weiss
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SS-Sturmbannführer Langleist
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SS-Hauptscharführer Eberle, Lagerführer MI
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SS-Oberscharführer Engelhardt
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SS-Oberscharführer Bloch
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SS-Oberscharführer Auer
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SS-Oberscharführer Petrak
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SS-Unterscharführer Spaeth
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SS-Rottenführer Gottschling
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SS-Oberaufseherin Mandel
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SS-Aufseherin Franz
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Die
Organisation TODT und die Baufirmen tragen die Schuld, -
dass
sie bei dem technischen Bauwerk, genannt Hauptbaustelle, die menschliche Arbeitskraft auf
die Weise verwendeten, dass dadurch 4000 Häftlinge ums Leben kamen.
Die tägliche Arbeitszeit betrug während der Wintermonate zehn Stunden,
ansonsten 12 Stunden, und diese Arbeitszeit wurde oft um mehrere Stunden
verlängert. Außerdem nahm der Appell, das Ein- und Ausrücken,
die Vergatterung täglich ca. zwei Stunden in Anspruch. Die Arbeitspause
betrug zweimal 15 Minuten sowie 30 Minuten Suppenpause. Das Arbeitstempo war
tendenziös übertrieben, die Arbeit stand unter Aufsicht von
Berufsverbrechern und OT-Männern, die auch vom Stock Gebrauch machten.
Die Arbeit wurde auch während der Wintermonate streng und ohne Wintermantel
verrichtet. Hier möge noch erwähnt werden, dass der Häftling
auch seiner Nachruhe beraubt wurde, da er gezwungen war, 6-8 mal urinieren
zu gehen. Infolge der Verkühlung bekamen fast alle Häftlinge
Blasenkatharr. -
dass sie anstatt der naheliegenden maschinellen Lösung einen
erzwungenen Kunstgriff, nämlich den Zementtransport mittels menschlicher
Arbeitskraft, anwendeten, nur um die Häftlinge zu zermürben.
Weiters
ersuchen wir, das technische Bauwerk "Hauptbaustelle" zu besichtigen und
nach Möglichkeit festzustellen, zu welchen Zweck dasselbe dienen sollte.
Unserer Meinung nach sollte der Transport solch gewaltiger Zementmassen
ausschließlich auf maschinellem Wege erfolgen, da derselbe schneller,
billiger und zuverlässiger ist, als die nur sinnlose Opfer fordernde
menschliche Handarbeit. (...) Der Zementtransport bestand aus dem Heraufschleppen
von 50 kg schweren Papiersäcken über 40 Stiegen auf acht Meter
Höhe an mehreren Arbeitsstellen in zementstaubiger Luft, ohne
Lederhandschuhe, auf rutschigen Balken in Holzschuhen. Da Zement ein beizendes
und fettentziehendes Material ist, entstanden alsbald spezielle Zementwunden,
die es unmöglich machten, die Hände richtig zu benutzen und dadurch
eine stets zunehmende Verunreinigung und Verlausung der Häftlinge zur
Folge hatten. |
Die SS-Führung und das Personal des Lagers tragen Schuld, Obwohl sie in der Verpflegung, Unterbringung und Bekleidung der Häftlinge durch die Befehle ihrer Vorgesetzten gebunden waren, sind sie Schuld an folgenden Mangel: Sie kümmerten sich nicht um heizbare Waschräume im Winter. | Sie kümmerten sich nicht um entsprechende Desinfektion. | Sie kümmerten sich nicht um Kohle für die Desinfektion. | Sie kümmerten sich nicht um entsprechende Möglichkeit der
Wäschereinigung. Dadurch wurde die Versorgung mit frischer Wäsche
fast unmöglich gemacht, die Häftlinge verlausten und der Flecktyphus
wütete unter ihnen.
Über die Versorgung mit Medikamenten können folgende
Häftlingsärzte Meldung erstatten: Dr Helky Imre (Tscheche), Dr.
Kende Vidor (Ungar), Dr. Markus Sandor (Tscheche), Dr. Glaser Ernst (Tscheche),
Dr. Bencze Josef (Ungar), Dr. Schönfeld (Tscheche). | Bezüglich der Verpflegung der Häftlinge übermitteln wir die
wöchentliche Kalorienbilanz der Häftlingsküche pro Person:
- Brot 2450 gr., 6280 Kal.
- Fleisch 140 gr., 842 Kal.
- Butter 120 gr., 540 Kal.
- Kartoffel 3500 gr., 3550 Kal.
- Wurst 100 gr., 230 Kal.
- Gemüse 500 gr., 430 Kal
- Käse 125 gr., 126 Kal.
- Fette 60gr., 370 Kal
- Honig 100 gr., 384 Kal.
- Bratling 180 gr., 540 Kal
- Sonstiges 300 gr., 1200 Kal
- Insgesamt: 14.192 Kal
Obige Kalorienmenge enthält außer der Verpflegung von ca. 2000
Häftlingen noch den Verpflegungssatz der 130-köpfigen
SS-Wachmannschaft; zu diesem Zweck wurden 30 % in Abzug gebracht; somit
verblieben auf einen Häftling pro Tag und Person ca. 1420 Kal. Der
tägliche Kalorienbedarf eines Schwerarbeiters beträgt jedoch 4500
Kal.
Die Verpflegung der Häftlinge war gänzlich vitaminfrei, so
dass bald die unangenehmen Erscheinungen der Avitaminose auftraten (...).
Bezüglich der Qualität der Speisen muss besonders betont werden, dass
die als Hauptnahrungsmittel dienende Kartoffel in derart verfaulten
Zustand verabreicht wurde, dass sie nicht einmal von Schweinen gefressen
worden wäre.
Die Tagesration der kranken und arbeitsunfähigen Häftlinge wurde
zur Hälfte herabgesetzt mit der Begründung, dass nur die
arbeitenden Häftlinge die volle Ration verdienten. Dadurch wurde die
planmäßige Vernichtung der Häftlinge besonders beschleunigt. | Es wurden überhaupt keine Maßnahmen für den Luftschutz getroffen,
weshalb das Lager am 23. Februar 1945 infolge eines - gegen den Flugplatz Mettenheim gerichteten - amerikanischen
Tiefangriffs fünf tote und neun verletzte Häftlinge zu beklagen
hatte. | An den Arbeitsplätzen wurden als Capos mit Vorliebe Berufsverbrecher
und sonstige sadistisch veranlagte Individuen eingesetzt, die das Leben der
Häftlinge in jeder Beziehung zur Hölle machten, sowohl während
der Arbeit als auch außerhalb derselben.
Fohr Johann und Frisch Lorenz gingen als Lagerälteste in dem
Misshandeln und Verprügeln der Häftlinge bis ans Ende des
vorigen Jahres mit guten Beispiel voran. | Die verantwortlichen SS-Funktionäre versahen ihren Dienst sehr
nachlässig und fügten dadurch den Häftlingen weitere
Demütigungen und Schwierigkeiten zu, wodurch die Verpflegung und die
Zeiteinteilung besonders schwer gelitten haben. Gewisse Kommandos haben nach
schwerer Arbeit keine Suppe mehr erhalten und waren gezwungen, den ganzen
Tag ohne Essen zu arbeiten. (...) | Bezüglich des Lagerführers von MI, SS-Hauptscharführer Eberle,
muss besonders betont werden, dass er die Behandlung der
Häftlinge eigenhändig leitete, dieselben bei dem kleinsten Anlas verprügelte und die üblichen 25 Hiebe selbst verabreichte. Selbst
die kleinsten Verstöße der Häftlinge verstand er, zu eigenem
Nutzen zu verwenden. Er untersuchte nämlich wiederholt die von der Arbeit
heimkehrenden Häftlinge, und falls er bei ihnen Schnaps oder Rauchwaren
vorfand, so nahm er sie ihnen ab und behielt sie für sich.
Der Häftling war für ihn kein menschliches Wesen, unwürdig
jeder Achtung. Kranke Leute schickte er tagtäglich zu den schwersten
Arbeiten aus. Selbst weibliche Häftlinge wurden von ihm wiederholt
geohrfeigt. Bei den Feldarbeiten spann er 20 Häftlinge vor den Pflug
und ackerte das Feld neben der Landstraße mit diesem Gespann
eigenhändig auf mit der scheinheiligen Begründung, dass dies
dem Wohl der Häftlinge diene, da er dort einen Gemüsegarten für
das Lager anbauen wird.
Als unernst denkender Mensch hat er sein Gehirn nur zur Benachteiligung,
Begaunerung der ihm untergeordneten Häftlinge angestrengt. Nach eigenen
Aussagen verbrachte er 12 Jahre im Dienste der SS und war während seiner
Dachauer und Kauferinger Dienstzeit berühmt für seine Grausamkeit,
weshalb er nur "Genickschusskommissar" genannt wurde. In Dachau
beschäftigte er sich als Plastiker und Photograph und stand im Dienste
der sinnlosen und gehässigen Rassenpropaganda der Nazis. | SS-Hauptscharführer Haussmann und SS-Hauptscharführer Kirsch begannen
als Lagerführer von Mettenheim die schlimmsten Gräueltaten, vom einfachen
Mord bis zur raffinierten Peinigung der Häftlinge. (...) | |
Die weiblichen Häftlinge wurden von der Leitung und Mannschaft der SS und OT als Mädchen loser Gesinnung betrachtet. Die Widerstandskraft der Frauen wurde durch die schlechte Ernährung, mangelnde Versorgung und gewaltsame Entfernung von ihrem Familienkreis begreiflicherweise stark herabgesetzt. Die tägliche Demütigung der weiblichen Häftlinge wurde besonders durch die SS-Aufseherin Franz zur Stande gebracht, die ihrerseits nichts unterließ, um den unglücklichen Frauen sowohl während wie auch außerhalb der Arbeit das Leben zu erschweren. |
(...) Lager Ecksberg, am 2. Juni 1945 Arbeitseinsatzschreiberin Lagerschreiber Lebensmittelmagazinschreiberin Lagerschreiber |