Rüstung im Mühldorfer Hart

Die  Auseinandersetzung um den Erhalt des Bunkergeländes

 

Schriftliche Anfrage der Abgeordneten König, Jungfer SPD vom 18.03.93

Bunkeranlage Mühldorfer Hart in Mettenheim, Lkr. MühIdorf/Inn

Im Mettenheimer Hart bei Mühldorf am Inn stehen die Reste einer Bunkeranlage aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Anlage, die mit unsagbarem Leid Tausender Häftlinge des KZ Dachau errichtet wurde und das Areal, auf dem sie sich befindet, darf nach Meinung der Regierung von Oberbayern "... aus zeitgeschichtlichen, denkmalschutzrechtlichen und naturschützerischen Gründen nicht abgerissen werden". Das Finanzbauamt Rosenheim dagegen will das Gelände einebnen und die Bauten abbrechen.

Ich frage die Staatsregierung:

1. Teilt die Staatsregierung die Beurteilung der Regierung von Oberbayern, was die zeitgeschichtliche, denkmalschutzrechtliche und naturschützerische Bewertung des Geländes anbelangt?

2. Falls ja, will sich die Staatsregierung dafür einsetzen, dass auf dem Gelände ein Mahnmahl errichtet wird?

3. Wie steht die Staatsregierung zu den Einebnungsplänen des Finanzbauamtes Rosenheim, insbesondere zu dem Argument, die Einebnung sei aus Sicherheitsgründen notwendig?

4. Muss das Gelände gesichert werden, und wenn ja, wäre eine Einzäunung nicht ausreichend?

5. Trifft es zu, dass die Einebnungspläne des Finanzbauamtes Rosenheim mehrere Millionen Mark kosten würden, eine Einzäunung des Geländes hingegen nur ein paar Tausend?

Antwort

des Staatsministeriums für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst

Die schriftliche Anfrage beantworte ich in Abstimmung mit dem Staatsministerium des Innern, dem Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen und dem Staatsministerium der Finanzen wie folgt:

Vorbemerkung:

Die geplante Rüstungsproduktionsanlage im Waldgebiet des Mühldorfer Hart war bei Ende des 2. Weltkrieges zu 2/3 fertiggestellt. Zu der ehemaligen Baustelle der gebunkerten Fertigungshalle gehörten neben den seitlichen Ansaugbauwerken der Kiesentnahmestollen unter den Hallenflächen, mehrere Werks- und Fertigungsanlagen, Bunker für Bauleitung und Energieversorgung sowie mehrere Arbeiterlager und Versorgungsanlagen. Die Reste der Anlage lassen den Größenwahn des nationalsozialistischen Regimes, dessen Menschenverachtung und die Sinnlosigkeit des Krieges nachhaltig erfahrbar werden. Die Anlage ist damit Mahnmal für die Leidensgeschichte der über 10.000 dort beschäftigt gewesenen Zwangsarbeiter, Kriegsgefangenen und Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau. Es handelt sich bei der Anlage um ein Denkmal im Sinne des Art. l Abs. 2 des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes. Ein entsprechender Eintrag in die Denkmalliste des Landkreises Mühldorf ist erfolgt.

Die Anlage wurde 1947 von der amerikanischen Besatzungsmacht zerstört. Reste der Anlage sind jedoch - zum Teil von Vegetation überwuchert - stehengeblieben; so u.a. ein 30 m hohes angesprengtes Betonbogensegment der Fertigungshalle.

Die Grundstücke, auf denen sich die Anlage befindet, sind im Besitz von Privatpersonen. Da die Anlage vom Deutschen Reich errichtet wurde, ist der Bund nach § 1004 BGB i.V.m. § l Abs. 2 Nr. l des Allgemeinen Kriegsfolgegesetzes (AKG) verpflichtet, die von den Trümmern ausgehenden Gefahren für Leben und Gesundheit zu beseitigen.

Zu diesem Zweck ist das für Bauaufgaben des Bundes örtlich zuständige Finanzbauamt Rosenheim vom Bund beauftragt worden, das Zustimmungsverfahren gemäß Art. 86 BayBO bei der Regierung von Oberbayern einzuleiten. Ziel des Zustimmungsverfahrens war, durch geeignete Maßnahmen (z.B. Abbruch und Überdeckung der Trümmerreste) Gefahren, die derzeit von den Bunkerresten ausgehen, zu beseitigen.

Mit Bescheid vom 27.10.1992 hat die Regierung von Oberbayern die Zustimmung zum Abbruch hinsichtlich der Fertigungshalle, der Mehrzahl der Ansaugbauwerke und eines ehemaligen Zwangsarbeiterlagers insbesondere aus Gründen des Denkmalschutzes versagt.

Den weiteren im Antrag enthaltenen Maßnahmen wurde unter verschiedenen Nebenbestimmungen zugestimmt. Unter anderem wird im Bescheid gefordert, in Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege und dem Kreisheimat-Pfleger des Landkreises Mühldorf eine ausführliche Dokumentation über die Gesamtanlage und im Einvernehmen mit der Unteren Naturschutzbehörde ein zoologisch-botanisches Gutachten für bestimmte Bereiche der Anlage zu erstellen. Diese Maßnahme resultiert aus der Einschätzung, dass sich dort ein wertvoller Lebensraum für eine spezialisierte Tier- und Pflanzenwelt entwickelt habe. Die Biotopkartierung betont die Bedeutung des Geländes für den Arten- und Biotopenschutz.

Gegen die Versagung der Zustimmung hat die Bundesvermögensabteilung der Oberfinanzdirektion München am 26.11.1992 Widerspruch eingelegt, über den bisher noch nicht entschieden worden ist.

Zu l.:

Das Bunkergelände ist ein Baudenkmal. Es hat eine besondere zeitgeschichtliche Bedeutung. Darüber hinaus bietet es einen Lebensraum für eine spezialisierte Tier- und Pflanzenwelt. Insofern teilt die Staatsregierung die Auffassung der Regierung von Oberbayern.

Durch Schreiben vom 16.6.1993 gegenüber der Oberfinanzdirektion München hat das Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst seine Bedenken geäußert.

Die Oberfinanzdirektion München vermochte der Anregung des Staatsministeriums für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst zur Rücknahme des Widerspruchs nicht zu folgen; vielmehr gab die Oberfinanzdirektion zu verstehen, dass sie entschlossen sei, notfalls gegen die Verweigerung der Zustimmung und den entsprechenden Widerspruchsbescheid Klage zu erheben.

Zu 2.:

Unabhängig von der Entscheidung über den Widerspruch bestehen im Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst keine Überlegungen zur Errichtung eines Mahnmals. Im übrigen sollte angesichts der bedrückenden und am derzeitigen Zustand der erhaltenen Anlagereste erfahrbaren geschichtlichen Aussage von Pflege- und Wiederherstellungsmaßnahmen Abstand genommen werden. Die Staatsregierung sieht daher keine Veranlassung, sich dafür einzusetzen, auf dem Gelände ein Mahnmal zu errichten.

Die Errichtung und Unterhaltung von Mahn- und Gedenkstätten ist nach der verfassungsmäßigen Zuständigkeitsregelung des Grundgesetzes (Art. 30 GG) Angelegenheit der Länder und Kommunen. Nachdem sich insbesondere das Landesamt für Denkmalpflege und der Landkreis Mühldorf für den Erhalt der Anlage eingesetzt haben, hat der Bund angeboten, die Erhaltung der Bauwerksteile mit erheblichen finanziellen Mitteln zu unterstützen, wenn die Anlage in die Verwaltung einer für die Unterhaltung geeigneten Landesstelle übernommen wird. Ein geeigneter Träger konnte bisher nicht gefunden werden.

Zu 3.:

Die Gefahrenbereiche, mit denen die Notwendigkeit der vorgesehenen Abbruch- und Sicherungsmaßnahmen begründet wird, stellen sich wie folgt dar:

Bei dem zwar noch stehenden, aber angesprengten Betonbogenfeld der Fertigungshalle bestehen Absturzhöhen bis ca. 13 m. Auf der Oberseite des Hallenbogens besteht bei einem ca. 15 cm herausstellenden Bewehrungseisen Stolper- und Verletzungsgefahr. Vom Bogen können sich abplatzende Betonteile lösen.

Auf der Oberfläche der heruntergesprengten Hallenfläche besteht ebenfalls Verletzungsgefahr durch herausragende Bewehrungseisen, außerdem findet man zahlreiche gefährliche Absturzstellen und Spalten mit Tiefen bis zu 3 m.

Auch bei den übrigen Bauwerken, insbesondere den Ansaughallen und Bunkern bestehen Absturzstellen mit Tiefenbereichen zwischen 4 m und 13 m.

Für den Erhalt, die Änderung oder den Abbruch einer baulichen Anlage ist in erster Linie drei Eigentümer verantwortlich. Eigentümer des Anwesens sind mehrere Privatpersonen, denen die Grundstücke 1945 zurückerstattet wurden. während die Verkehrssicherungspflicht beim Bund verblieb.

Der Bundesrepublik Deutschland geht es in erster Linie um die zivilrechtliche Gefahrenabwehr. Sie ist bestrebt, die aus dem Krieg herrührenden Lasten abschließend, und zwar ohne fortlaufende weitere Verwaltungsaufgaben, zu bereinigen.

Die geplanten Maßnahmen sind geeignet, das oben beschriebene Gefahrenpotential auszuräumen. Da es der Bundesrepublik Deutschland einzig auf die Erfüllung ihrer Verkehrssicherungspflicht ankommt, kann sie nach zivilrechtlichen Gesichtspunkten entscheiden; insofern liegt unabhängig von kulturkritisch bzw. geschichtlich Wünschenswertem die Entscheidung über die Art und Weise der Gefahrenbeseitigung zunächst allein beim Verkehrssicherungspflichtigen.

Die - auch teilweise - Einebnung der Bunkeranlage ist ein als Abbruch bzw. Beseitigung baulicher Anlagen nach Art. 65 Bayerische Bauordnung (BayBO) genehmigungspflichtiger Tatbestand. Da Bauherr der Bund ist und im übrigen die näher im Gesetz bezeichneten Voraussetzungen erfüllt sind, wird statt des Baugenehmigungsverfahrens das Zustimmungsverfahren nach Art. 86 BayBO bei der Regierung durchgeführt. Nachdem die Anlage zudem die Eigenschaften eines Baudenkmals erfüllt, bedarf die Beseitigung auch der denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis nach Art. 6 Abs. l Satz l Denkmalschutzgesetz (DSchG); diese wird jedoch nach Art. 6 Abs. 3 Satz l DSchG durch die bauaufsichtliche Zustimmung ersetzt.

Die Zustimmung zur Einebnung muss erteilt werden, wenn sie öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht und soweit nicht nach Abwägung aller erheblichen Umstände gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustandes sprechen.

Bei der Abwägung aller Umstände muss differenziert werden zwischen zur Gefahrenabwehr unabdingbaren Maßnahmen wie der Beseitigung herausragender Bewehrungseisen, Verfüllung von Spalten usw. und einer vollständigen Einebnung des Baudenkmals.

Das Aufstellen von Warnschildern und Zäunen hat nach Beobachtungen vor Ort in der Vergangenheit nicht verhindert, dass sich Besucher unbefugt Zutritt verschafft haben; dabei sind die Schilder und Zäune zerstört und beseitigt worden. Gleichwohl war in den vergangenen 40 Jahren kein größerer Unfall auf dem Gelände zu verzeichnen.

Um zu ausgewogenen Lösungsansätzen zu gelangen, ist zu prüfen, wie durch geeignete Beseitigung herausstehender Bewehrungseisen, die geeignete Einebnung und Verfüllung einzelner Spalten und Absturzstellen akute Gefährdungen auf dem Gelände einerseits vermieden werden können und andererseits durch geeignete Umzäunungsmaßnahmen ein unberechtigtes Betreten des Geländes für die Zukunft so erschwert werden könnte, dass der Verkehrssicherungspflicht Genüge getan ist.

Insofern bedarf es einer differenzierten Prüfung vor Ort, inwieweit solche Einzelmaßnahmen als weniger einschneidende Maßnahmen geeignet sind, das derzeit vorhandene Gefahrenpotential auszuräumen. Erst dann wird sich abschließend sagen lassen, ob die Einebnung des Geländes so notwendig ist, dass die an sich gewichtigen Gründe des Denkmalschutzes dieser nicht mehr entgegenstehen.

Zu 4.:

Eine Absicherung des Geländes ist wegen der zu Nr. 3 beschriebenen baulichen Situation notwendig, zum einen aus den in der Vorbemerkung genannten zivilrechtlichen Gründen, zum anderen aber auch unter dem Blickwinkel der öffentlich-rechtlichen Gefahrenbeseitigung nach Art. 63 Abs. 3 und Abs. 5 BayBO, Art. 9 Abs. 2 Landesstraf- und Verordnungsgesetz. Dass bisher Unfälle von nennenswertem Umfang nicht eingetreten sind, würde den Bund im Ernstfall nicht von seiner Haftung freistellen.

Eine bloße Einzäunung wird von den Gerichten nicht mehr als ausreichende Sicherungsmaßnahme akzeptiert, weil sie nicht wirksam und dauerhaft das unbefugte Eindringen und die Gefährdung von Leib und Leben verhindern kann.

Besonders sei darauf aufmerksam gemacht, dass zivilrechtliche und öffentlich-rechtliche Gesichtspunkte nicht vermengt werden dürfen. Aus der verfassungsrechtlichen Kompetenz der Länder für Kulturdenkmäler folgt keineswegs, dass die Länder diese auch zivilrechtlich in ihr Eigentum übernehmen und/oder die damit zusammenhängenden Sicherungs- und Unterhaltungslasten tragen müssten.

Zu 5.:

Eine Kostengegenüberstellung der auf Dauer vorgesehen Maßnahmen für die gesamte und abschließende Behebung der akuten Gefahrzustände und eine Einzäunung des Geländes liegt nicht vor.

Hinweis: Die Landtagsanfrage und die Beantwortung geben den Stand der Diskussion im Jahre 1993 wieder!

Im folgenden finden Sie einen  Protokollauszug aus einer Sitzung des Landesdenkmalrates, das den aktuellen Stand vom April 1999 wiedergibt.

Geschichtswerkstatt Mühldorf