Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Stadt Mühldorf a. Inn

Mit dem Eintritt der nationalsozialistischen Machtergreifung gab es nur sehr wenige jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Stadt Mühldorf a. Inn. Im übrigen gibt es kaum Quellen hierüber, so dass die Geschichte der jüdischen Mitbürger in Mühldorf lediglich eine solche in Fragmenten sein kann.

Bekannt waren seinerzeit vor allem zwei jüdische Kaufmannsfamilien in Mühldorf, die Familie Michaelis und die Familie Hellmann. Daneben lebten in Mühldorf eine Familie Lieberstein, eine Familie Baur und ein gewisser Heinrich Donnenberg, alle sogenannte "Halbjuden".

 

Familie Michaelis

Fritz Michaelis und seine Ehefrau Eva Michaelis waren jüdische Kaufleute in Mühldorf (zugezogen 1931 aus Passau) und betrieben am Stadtplatz 68 ein Bekleidungsgeschäft.

Die Gewerbekartei bezeichnete das Kaufhaus als "Spezialhaus für Herren- und Knabenbekleidung für Mühldorf". Fritz Michaelis hat dieses Gewerbe am 01.03.1931 in Mühldorf angemeldet.

Nach Aussage der Familie Michaelis soll das Geschäft "gut gegangen" sein. Im übrigen war Michaelis nach dem Bericht von Zeitzeugen in der Bevölkerung wohl angesehen; Konflikte waren nicht bekannt.

Schon bald nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten änderte sich die Lage jedoch grundlegend:

Noch am 29. Juli 1933 durfte Michaelis in einem Inserat der Mühldorfer Zeitung für sein Kaufhaus Werbung betreiben und auf den kommenden Saisonschlussverkauf hinweisen. In dem Inserat wies er insbesondere darauf hin, dass er im ersten Weltkrieg Frontkämpfer und Unteroffizier gewesen sei und das Eiserne Kreuz 2. Klasse sowie das Verwundetenabzeichen erhalten habe.

Hintergrund dieser Herausstellung war wohl ein Erlass des Reichswirtschaftsministers, wonach ein Jude, der den Nachweis führen konnte, im 1. Weltkrieg mindestens ein Jahr an der Front gekämpft zu haben, in wirtschaftlicher Hinsicht nicht diskriminiert werden durfte.

Ende Mai 1935 - die Nationalsozialisten hatten inzwischen ihre Repressionen gegenüber der jüdischen Bevölkerung deutlich verschärft - wurden bei Michaelis die großen Schaufensterscheiben zertrümmert, der Rest mit Farbe beschmirrt.

Im Januar 1936 erschien in der Mühldorferr Zeitung ein Artikel, der einen Geschäftsmann anprangerte, weil er Arbeitsanzüge "beim Juden" gekauft hatte. Kurze Zeit vorher hatte die Mühldorfer Zeitung am 02. Juli 1935 unter der Überschrift "Kauft nicht bei Juden!" einen Hinweis des örtlichen Kreisleiters Fritz Schwaegerl, veröffentlicht, wonach jemand, der sich mit Juden einlasse, mit "keiner Unterstützung zu rechnen habe".

Die Familie Michaelis sah darauf hin wohl keine Zukunft mehr für sich in Deutschland und tat in dieser Situation das einzig richtige: sie verkaufte ihr Geschäft an das Geschäftsunternehmen Gustav Daxenberger und flüchtete mit dem Erlös nach Amerika.

Die Firma Daxenberger besaß schon seit dem Jahr 1799 am Stadtplatz 43 ein Geschäft für "Textilien aller Art" und betrieb das von Michaelis erworbene Geschäft am Stadtplatz 68 weiter als Nebenverkaufsstelle seines Haupthauses.

In der Mühldorfer Zeitung vom 16. April 1937 erschien hierzu folgendes Inserat:

"Das Spezialhaus für Herren- und Knabenbekleidung - bisher Fritz Michaelis in Mühldorf - habe ich übernommen und werde dasselbe als rein arisches Unternehmen am Samstag, den 17. April 1937 eröffnen."

Kurz vorher, am 09. April 1937 hatte die Mühldorfer Zeitung bereits triumphierend verkündet, es sei der Diszipliniertheit der Volksgenossen zu verdanken, die dem Aufruf Folge geleistet hätten, nicht bei Juden zu kaufen.

Der Familie Michaelis gelang die Flucht nach Amerika - hatte sie doch noch rechtzeitig genug erkannt, dass ein Verbleib in Deutschland für sie den sicheren Tod bedeutet hätte - und siedelte sich in New York an. Dort verstarb Fritz Michaelis im Alter von 52 Jahren.

In der Nachkriegszeit wurde 1948 ein Rückerstattungsverfahren "wegen des früher dem rassisch Verfolgten Michaelis gehörenden Geschäfts am Stadtplatz 68" gegen die Firma Daxenberger eingeleitet. In einem Vergleich einigten sich die Parteien auf die Zahlung eines Geldbetrags in Höhe von DM 2.000.-.

 

 

 

Familie Hellmann

Anders dagegen verhält es sich mit dem Pferdehändler Hellmann. Siegfried Hellmann lebte hier zusammen mit seiner Familie und vier Brüdern bereits seit 1. März 1907 und war der Ansicht, dass ihm niemand etwas antun würde, war er doch nach Augenzeugenberichten äußerst beliebt in der Bevölkerung. Tatsache ist jedoch, dass er wohl im Konzentrationslager Dachau ermordet wurde.

Siegfried Hellmann wurde am 31.08.1879 in Gunzenhausen geboren, war verheiratet und betrieb in Mühldorf eine Pferde- und Viehhandlung. Daneben besaß er im Rahmen der Viehhaltung einige Grundstücke in Mühldorf.

Im Jahre 1934 wurde seitens der SS versucht, sein Geschäft zu boykottieren. Durch Drohungen der SA erschreckt, verkaufte er Grundstücke an die Heilig-Geist-Spitalstiftung in der Hoffnung, dies sei für ihn als Juden empfehlenswert.

Nach Kriegsende zu Beginn des Jahres 1947 verlangten Hellmanns Hinterbliebene die Herausgabe des betreffenden Grundstücks. Der Stadtrat genehmigte zunächst die Rückerstattung unter Würdigung der Tatsache, dass dieses Grundstück unter Zwang verkauft worden war. Später wurde die Rückgabe jedoch mit der Begründung verweigert, es sei unter normalen Umständen und unter Bezahlung eines angemessenen Kaufpreises erworben worden. Die Wiedergutmachungskammer beim Landgericht Traunstein stimmte dem 1949 zu.

Später, das Gesetz über die Einziehung Judenvermögens war soeben verabschiedet worden, musste Hellmann weiteres Eigentum verkaufen.

Nach den Judenprogromen der Reichskristallnacht am 09. November 1938 wurde Siegfried Hellmann zusammen mit seinem Bruder Hermann Hellmann festgenommen und in das Amtsgerichtsgefängnis Mühldorf im heutigen Lodronhaus eingeliefert. Dort wurden sie über ein Monat lang inhaftiert.

Vorher war bereits im Hetzblatt "Stürmer" vor Geschäften mit den Pferdehändlern Hellmann gewarnt worden, der Besitz Hellmanns wurde nach und nach zwangsweise veräußert.

Die Geheime Staatspolizei München stellte am 05.01.1940 fest: "Dem Juden Hellmann wurde eröffnet, dass er Mühldorf und Umgebung aus staatspolizeilichen Gründen nicht mehr betreten darf, andernfalls er mit strengen staatspolizeilichen Maßnahmen zu rechnen hat."

Das weitere Schicksal Siegfried Hellmanns ist nicht eindeutig geklärt, jedoch ist aus Gerichtsakten (Verfahren der Verwandten Hellmanns gegen die Heilig-Geist-Spitalstiftung in Mühldorf aus dem Jahre 1949) bekannt, dass er in das "Konzentrationslager Dachau verschickt" wurde und nach Kriegsende von Amts wegen für tot erklärt wurde.

Über das Schicksal von Hermann Hellman ist nichts bekannt; seine Ehefrau Katharina überlebte den Holocaust.

 

 

Frau Baur

Über eine sogenannte "Halbjüdin", eine Frau Baur, heißt es in einem Schreiben des Mühldorfer Bürgermeisters an den Landrat:

"Die Ehefrau des Wolfgang Baur, Mühldorf, Bräugasse 34, Frau Rita Sara Baur, geborene Frank, geboren 7.9.1904 zu Bad Neustadt an der Saale, wurde am 20.2.45 von der Gestapo München zum Sondereinsatz herangezogen."

Ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt.

Außerhalb der Stadt Mühldorf lebten wohl nur noch zwei jüdische Mitbürgerinnen im Landkreis:

 

 

 

Weiterführende Hinweise erhalten Sie in der Veröffentlichung

"Der Landkreis Mühldorf im Nationalsozialismus"